Das im heutigen Polen liegende Leba in Pommern an der Ostseeküste, wird Pechsteins dritter Sehnsuchtsort, an dem er künstlerisch zu einem neuen Selbstverständnis gelangte. Dieses „baltische Arkadien“ war wie zuvor schon Nidden, ein Ort, der für ihn wie Fehmarn für Kirchner oder Alsen für Nolde als Zufluchtsort vor der Stadt und Quelle der Inspiration und Vitalität diente.
Pechstein reist erstmals im März 1921 nach Leba auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstätte. Nach Nidden, im heutigen Litauen konnte er aus politischen Gründen nicht mehr reisen und so verbringt der Künstler bis 1945 seine Sommer in Leba und ab 1944 lebt er sogar dort. Pechstein findet hier ein landschaftliches Paradies wieder, was ihn mit seiner unberührten Natur und Ursprünglichkeit an die Südsee erinnerte.
Er entflieht Berlin, der Großstadt und den Alltagsquerelen in die Natur und in alternative Lebensbedingungen. Unter den Fischern der Küste lebt Pechstein, der sich ihnen verwandt fühlt, nach den Zeugnissen dieser Jahre, buchstäblich auf: „…freue mich bald wieder losfahren zu können, und ungehindert in der Natur zu leben“, schreibt er im Frühjahr 1922 an Walter Minnich. Es entsteht motivisch wie künstlerisch in Bezug auf das gesamte Oeuvre sehr Wesentliches, so dass die Gemälde dieser Epoche als Höhepunkte seiner malerischen Produktion bezeichnet werden dürfen.
1921 wird Pechstein noch von seiner ersten Frau Lotte und dem gemeinsamen Sohn Frank begleitet, die ihren Sommerurlaub hier verbringen. Man wohnt im Gasthof Möller, wo Pechstein allein zurückbleibt, nachdem Frau und Kind wieder nach Berlin zurückgekehrt sind. Pechstein beginnt die zwei Töchter des Gastwirts Marta und Liese Möller zu proträtieren, wobei er besonderes Interesse an der 16jährigen Marta entwickelt. Eine große Anzahl an Porträts und Figurenbildern entstehen.
Bereits am 4. August schreibt er seinem Schulfreund Alexander Gerbig in einem Brief, dass er sich in Marta verliebt hat:
„Noch dazu habe ich mich (…) in einen kleinen schwarzen Teufel verguckt, also bei mir steht der Kessel unter Hochdruck (…)“
Noch kurz vor Weihnachten desselben Jahres lässt er sich von Lotte scheiden - die später Martas Bruder Hermann heiraten wird. Pechstein heiratet Marta 1923 – inzwischen 18jährig - im Gasthaus ihrer Eltern.
1922 verbringt er sowohl die Monate Mai bis September als auch den Dezember in Leba. Zu dieser Zeit entsteht auch das Gemälde „Interieur“, ein Figurenporträt Martas in einem Zimmer im Strandhotel ihrer Eltern. Es ist eine intime Darstellung, die eine ganz in sich versunkene junge Frau zeigt. Die Farben des Innenraums changieren in Violett, Blau- und Grüntönen und umrahmen Marta, die in ein leuchtend rotes Gewand gekleidet, den Mittelpunkt der Komposition bildet. Der Pinselstrich ist locker bis lasierend, die Farben gehen harmonisch ineinander über und werden durch die dunklen Konturen akzentuiert. Die Arbeit zeigt beispielhaft Pechsteins virtuosen Umgang mit der Farbe, die für ihn in dieser Hochphase seines Schaffens zum Mittelpunkt seiner künstlerischen Meisterschaft geworden war.